Montagsmuseum #39 (07.10.2019)

Meine erste Moschee! Am „Tag der Deutschen Einheit“ war auch „Tag der offenen Moschee“ in Berlin, weil Einheit viel mit Sich-kennen-lernen zu tun hat. An der Şehitlik-Moschee komme ich häufig vorbei, hab schon oft durchs Gitter geschaut, hätte mich aber nicht getraut, einfach hineinzuspazieren.

Hier eine kleine Auswahl an meinen Vorurteilen. 1) Lassen die mich als Frau da überhaupt rein? 2) Brauch ich ein Kopftuch und wenn ja, gilt auch meine Mütze? 3) Wird das gleich anstrengend?

Als ich an dem Gebäude ankam, sah ich, dass es zwei Gebetsräume gibt: einen oben, an dem „Männer“, einen unten, an dem „Frauen“ steht. Ich hab erst unten in den Frauenraum geschaut, aber da war niemand. Die zahlreichen anderen Besucher gingen alle nach oben, in den Männerraum. Also tat ich das auch. Schuhe ausziehen vor der Tür, diese mithineinnehmen, dort in ein Regal stellen.

Ich konnte mich frei bewegen, durch eine Tür hindurch auf die Empore, dort fotografieren, alles betrachten. Es war, als könne ich gar nichts falsch machen. Ganz anders als erwartet. Mir wurde bewusst, dass meine Berührungsängste mit dem Islam mit der Geschlechtertrennung zusammenhängen. Davon fühlte ich mich persönlich beleidigt. Grundlos, aber dazu komm ich später.

In dieses unerwartete Erleben von Freiheit und dem Glück eines weichen Flauschteppichs unter den Füßen drang die Stimme eines jungen Mannes, der mit einer Führung begann. Über die Moschee wolle er sprechen, dann über den Islam und anschließend dürften alle Fragen gestellt werden, die wir so haben. Ich hockte mich auf der Empore, erinnerte mich dunkel, dass die Fußsohlen nicht nach Osten zeigen dürfen (oder hatte ich mir das ausgedacht?), guckte, was die anderen machten, aber offenbar war alles erlaubt. Wer wollte, durfte auch einen Stuhl haben.

Als Kunsthistorikerin interessierten mich der Teil seiner Erklärung, warum es keine Bilder und Skulpturen in den Moscheen gibt. Erlaubt ist jedoch alles, was von der Natur inspiriert ist. Der grüne Teppich symbolisiert eine Wiese. Die Streifen darin sind Flussläufe (und gleichzeitig ein Abstandmesser für die einzelnen Betenden). Die Säulen sind Palmen und der große Kronleuchter eine Sonne.

Im Kronleuchter selber sind Straßeneier verbaut. Der Geruch vertreibt Spinnen. Ach.

Der Innenraum hat keine Ecken. Damit die Akustik besser ist. Aha.

Zwei Marmorröhren sind mit einem minimalen Spielraum neben der Gebetsnische angebracht, dass sie im Falle eines Erdbebens laut klackern, außerdem Alarm schlagen, wenn sich die Wand verschiebt. Super.

Ich brauch es praktisch. Der eigentliche Grund, warum es keine Bilder und Skulpturen in einer Moschee gibt, ist, dass das Gebet im Vergleich zum Christentum körperlich ist. Dinge, die im Weg rumstehen, werden umgeschmissen. Gebet ist ein sich im eigenen Körper einfinden. Das ist eine gute Sache, ich kann das vom Yoga bestätigen. Wenn die Kräfte frei fließen, ist es ein guter Tag.

Wir durften bei einem Gebet dabei sein. Über fünfzig Männer, die sich erst eingroovten, im eigenen Tempo ein Ritual durchflossen, in dem es um Vorbeugen, Kniefall, Stirn auf den Boden, aufstehen, Arme heben, Hände an die Ohren ging und dann wurden die Verse auch noch gesungen. Als Höhepunkt machten sie das Ritual synchron, all die in sich selber eingefundenen Körper wurden zu einem großen Ganzen.

Die Dynamik war sehr viel mitreißender, als ich es auch meinen evangelischen Gottesdiensten von früher kannte. Das bringt den Kreislauf hoch, das hebt die Stimmung. Ich hätte gerne mitgemacht.

Das aber ging nicht und die Gründe dafür warum absolut einleuchtend. Die Gruppe der betenden stand dicht gedrängt. Beim Vorbeugen berührten die Köpfe beinahe die Hinterteile der Vorderen. Beim Stirn auf dem Boden reckten sich die Hinterteile in die Luft. Ich hätte gar nicht zwischen Männern sein wollen.

Die Körperlichkeit des Gebets sei der Grund für die Trennung von Männern und Frauen. Es gibt Moscheen, da sind die Räume nebeneinander. Oder, wie in dieser Moschee, gingen die Frauen auf die Empore. Einfach mal für ein paar Minuten Ruhe haben von der Fleischbeschau. Das war alles andere als anstrengend.

Montagsmuseum #23 (10.06.2019)

Die „Gedenkstätte Berliner Mauer“ werde ich kein Museum nennen, da dann die Mauer ein Kunstwerk wäre. Das knirscht, merkste? Aber weil gestern das Wetter zu schön für „was drinnen“ war und ich außerdem noch nie bei diesen Teil der Mauer besichtigt habe, der, laut Programmheft der einzige Ort ist, „an dem die Tiefenstaffelung des Grenzsperrsystems noch erfahrbar ist“, erweitere ich die Spielregeln.

Die „Tiefenstaffelung des Grenzsperrsystems“ klingt wie ein Roman von Michel Houellebecq. Es ist eine technische Beschreibung, die sich hervorragend als poetische Metapher anbietet.

Was mir seit meiner Rückkehr aus Spanien verstärkt auffällt (ich hatte aus mehreren Zufälle etwa ein Jahr lang auf den kanarischen Inseln gelebt) ist der grundgeSTRESSTE Zustand, der in Berlin herrscht. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie schrecklich eigentlich alles ist. Das Leben. Das Denken. Krebs, Trump, Insektensterben. Die ersten Monate hatte ich regelrecht Platzangstgefühle. Alles ist zu eng, wenn man mal am Meer gewohnt hat.

Und dann wurde ich eine Yogurette. Der simple Trick von Yoga ist, sich im Moment zu befinden. Als Kind war ich noch im Moment. Irgendwann, vermutlich so mit Mitte Zwanzig, hab ich das verlassen, als hätte mich jemand an ein großes Pendel gebunden, dass ständig zwischen Zukunft und Vergangenheit hin- und herschwenkt.

Ich bin noch nicht besonders erfolgreich mit meinen „Momenten“, sie sind noch kurz, bis das Pendel mich wieder mitreißt und ich darüber nachdenke, was ich letzten Freitag um 14:30 Uhr hätte besser machen können, als ich mit einem Filmproduzenten gesprochen hatte, der keinerlei Interesse an meinem Kinderbuchstoff hatte oder was in drei Monaten alles schiefgehen kann, wenn ich mit meiner Schwester eine Alpenwanderung mache. Es könnte regnen. Oh mein Gott.

Es gibt einen Bereich auf dem ehemaligen Todesstreifen an der Bernauer Straße, den lassen sie absichtlich verwildern. (Die Biene wollte unbedingt mit aufs Bild).

Dort lagern Mauerteile und ich dachte, ich seh nicht recht, als ich auf der Handfläche einen schwarzen Punkt entdeckte. Es ist ein Bohrloch. Plus die Flügel? Jep. Auf den Mauerteilen, die ehemals auf einem Sammelgrab standen, ist ein Graffiti-Jesus.

Da wächst einfach ein Baum durch die Mauer und wird sie in vielleicht zehn Jahren sprengen. Natur macht das. Wächst einfach weiter. Dieser Baum ist mein Moment. Die Mauer meine Vergangenheit.